Hamburgs Transparenzgesetz:
Offenheit als Standortvorteil

Seit 10. September 2014 können die Bürger wesentliche Akten der Hamburger Verwaltung stets aktuell im Internet einsehen und (Geo-)Daten kostenfrei nutzen. Das neue Transparenzportal der Hansestadt ist Ausfluss eines Transparenzgesetzes, durch das Hamburg die gläsernste Stadt Deutschlands wird. Mindestens. Mein Kommentar aus dem Hamburger Abendblatt. 

Es ist gar nicht lange her, da durfte der gemeine Staatsbürger kaum Einblick in das nehmen, was hinter den dicken Mauern von Ämtern, Behörden und Ministerien verhandelt und entschieden wurde. Noch 1970 urteilte das Bundesverfassungsgericht, die öffentliche Verwaltung könne „nur dann rechtsstaatlich einwandfrei, zuverlässig und unparteiisch arbeiten, wenn sichergestellt ist, dass über die dienstlichen Vorgänge nach außen grundsätzlich Stillschweigen bewahrt wird“.

Wie radikal sich diese Weltsicht verändert hat, belegen die Gesetze zu Datenschutz und Informationsfreiheit, die seither eingeführt wurden. Während einst der Staat die Daten der Bürger ungehemmt sammeln durfte, seine eigenen Informationen aber geheim hielt, soll es heute möglichst umgekehrt sein.

Dieser Idee folgt auch das Hamburger Transparenzgesetz – und zwar nicht nur vorsichtig, sondern radikal. Von heute an können die Hamburger der Verwaltung so intensiv und so einfach auf die Finger schauen wie in keiner anderen deutschen Stadt. Zehntausende von Dokumenten sind von nun an im Internet kostenlos einsehbar.

Bedenken der Handelskammer

Dazu gehören bisher teilweise vertraulich behandelte Gutachten, Statistiken, Senatsbeschlüsse, Baupläne, Baugenehmigungen und vieles mehr. Neue Dokumente oder Daten werden kontinuierlich eingespeist.

Es ist im Vorwege darüber gestritten worden, ob zu viel Transparenz nicht schädlich sein könnte. Die Handelskammer hat gewarnt→ weiterlesen

Nach IceBucket jetzt Literatur-Challenge: Meine zehn liebsten Bücher

Die Wassereimer scheinen weltweit geleert. Nun wurde ich zu einer anderen Herausforderung eingeladen: der Literatur-Challenge, oder wie dieses Spiel auch immer genau heißt. Man soll (einigermaßen spontan) zehn Bücher nennen, die einen im Laufe des Lebens besonders gefesselt, beeindruckt oder in Denken und Schreiben beeinflusst haben. Alles aus heutiger Sicht – und damit beinahe täglich veränderlich. Da mache ich doch gerne mit. Hier meine aktuelle Liste:

  1. Julio Cortázar: Rayuela
  2. Thomas Bernhard: Holzfällen
  3. Roberto Bolaño: Die wilden Detektive (und Die Nöte des wahren Polizisten, 2666 und fast alles andere, aber das darf man ja wieder nicht)
  4. Philip Roth: Portnoys Beschwerden
  5. Fjodor M. Dostojewski: Schuld und Sühne
  6. Per Petterson: Pferde stehlen
  7. Julio Cortázar: Geschichten der Cronopien und Famen
  8. Max Frisch: Montauk
  9. Rafael Chirbes: Am Ufer
  10. Alfred Andersch: Sansibar oder der letzte Grund.

Ich nominiere meinerseits zehn Kandidaten und zwar: Sören Sieg, Genevieve Wood, Lars Haider, Vanessa Seifert, Jochen Rausch, Zoë Beck, Alexander Schuller, Alexander Josefowicz, Insa Gall und Daniel Kaiser.

 

Hamburg braucht mehr Mut
in der Verkehrspolitik

Der SPD-Senat versucht, es allen recht zu machen – und agiert deswegen mutlos. Gut, dass das Thema Verkehr nun zum zentralen Wahlkampfthema wird.

Es ist ein wenig wie beim Fußball: Auch beim Thema Verkehr sind wir alle Experten. Jeder stand schon im Baustellenstau, ist beim Radeln über Hamburgs Rumpelpisten mal fast vom Sattel geflogen oder musste sich im überfüllten Bus aus dem Kopfhörer des ungepflegten Stehnachbarn beschallen lassen. Und jetzt gibt es auch noch einen neuen Grund, sich zu ärgern: Die Nutzung vieler Park-and-ride-Plätze kostet plötzlich Geld.

Und das, obwohl der SPD-Senat die Menschen zum Umstieg auf den HVV bewegen will. Gerade hat Umweltsenatorin Blankau im Abendblatt gesagt: „Wir alle sollten das Auto in einem Ballungsraum wie Hamburg nur noch benutzen, wenn es wirklich nicht anders geht.“ Schön, schön – und richtig. Aber dann vergällt uns bitte nicht die HVV-Nutzung mit immer neuen Preiserhöhungen und Gebühren!

Sollen Pendler wirklich mit dem Auto in die Stadt kommen?

Könnte man ausrufen. Und das wäre vielleicht auch nicht ganz falsch. Ganz richtig aber auch nicht. Denn die neuen P+R-Gebühren folgen nicht nur ökonomischen Erwägungen, also etwa der Notwendigkeit, die Anlagen zu modernisieren – sondern auch ökologischen.

Bisher haben viele Pendler ihren Wagen nicht bei ihrer nächsten Station in Stade oder Lüneburg abgestellt, sondern sind bis Harburg gefahren, um dort zu parken. Weil sie in den Hamburger Anlagen, anders als an einigen großen Stationen Niedersachsens, nichts bezahlen mussten. Das aber ist weder im Sinne der Umwelt noch im Sinne Hamburgs, das ohnedies durch den Pendlerverkehr stark belastet ist.

Nun zeichnet sich bereits ab, dass die Nutzung der Anlagen durch die Gebühren zurückgeht. Was kaum überrascht und durchaus im Sinne vieler P+R-Parker ist – waren doch einige Anlagen so überlaufen, dass bisweilen gar kein Parkplatz zu bekommen war. Schon problematischer ist es, dass einige bisherige P+R-Nutzer nun auf umliegende Wohngebiete ausweichen und dort die Straßen zuparken.

Strafzettel und Abschlepper pädagogisch sinnvoll einsetzen

Dieses Problem aber dürfte sich einfach lösen lassen: durch → weiterlesen

Einen Tag im Eimer statt #IceBucketChallenge

Meine zehn klügsten Gedanken zur Eiswasser-Herausforderung. Nummer 8 konnte ich kaum glauben. Und bei Nummer 4 wurde ich sehr traurig.

1. Mir gehen die Videos all der mittelalten Männer mittlerweile auf die Nerven, die sich Wasser über den Kopf gießen, nachdem sie vorher längliche altkluge Reden halten. Ich habe keine Lust mehr, mir das anzusehen.

2. Ich danke dem sympathischen Kollegen Hagen Meyer für die heutige Nominierung zur IceBucketChallenge – vor allem weil er sie wenige Stunden vor diesem Posting von Nico Lumma veröffentlichte:

Nicos Kotelett

 

 

 

 

3. Ich habe seit Tagen auf Facebook und Twitter über die, tatataaaa, FLUT von Wasserübernkopp-Videos gelästert. Ich habe geschrieben, die Leute sollten sich die Eimer doch besser auf die Köpfe setzen und draufbehalten, für mindestens 24 Stunden. Ich habe das Laurel und Hardy-Video dazu gepostet und wohl auch Felix Magath dafür gelobt, dass er spendet, anstatt sich blöde einzunässen. Wie also könnte ich jetzt… Seufz.

4. Nicht nur weil ich bekennender Hypochonder bin, wusste ich lange vor der Kampagne von der Amyotrophen Lateralsklerose (ALS). Der Vater eines Bekannten ist daran gestorben. Außerdem ging der weltberühmte Bildhauer Jörg Immendorf, dem Hamburg die Hans Albers-Statue verdankt, an dieser fiesen Krankheit zugrunde. Ich habe ihn einmal am Telefon interviewt, da war er ziemlich pampig zu mir. Später, als ich von seiner ALS-Erkrankung erfuhr, rechnete ich mir aus, dass er in etwa zur Zeit unseres Gesprächs die Diagnose bekommen haben könnte. Auch der Physiker Stephen Hawking ist an ALS erkrankt – seit 1963.

5. Ich gratuliere den Erfindern der Ice-Bucket-Kampagne. So sehr mich persönlich und viele andere das mittlerweile nervt: Wenn ich es richtig einschätze, ist das die erfolgreichste PR-Kampagne, seit wir von den Bäumen geklettert sind.

6. Ich wünsche allen ALS-Erkrankten Gottes Beistand und der Forschung einen Durchbruch.

7. Ich spende 100 Euro und teile diese auf. Ein Teil an die ALS-Forschung (kennt jemand in Hamburg eine gute Anlaufstelle?). Den zweiten an Brot für die Welt, den Entwicklungsdienst meiner evangelischen Kirche. Und den dritten an SOS Kinderdorf, weil ich auch aus persönlicher Erfahrung weiß, dass die einen sehr guten Job machen. Jetzt muss ich nur noch 100 gerecht durch 3 teilen. Hmm.

8. Wir haben keinen IceBucket. Es gab im Umkreis von 200 Kilometer auch keine zu kaufen. Auch Wasser und Eiswürfel waren überall aus. So ein Pech.

9. Ich tu doch nicht alles, was man mir sagt.

10. Ich erspare der Welt das 50millionste doofe Video und setze mir jetzt den einzigen alten Eimer auf, den es hier gibt. Vorher, egal ob ich das unter diesen Umständen überhaupt darf, nominiere ich noch schnell Christoph Holstein, Tim Schmuckall und Thomas Böwer – wahlweise für den IceBucketChallenge oder 24 Stunden Kübel auf dem Kopf. Hauptsache, sie spenden auch – egal ob nass oder im Eimer.

 

eimer

 

Die mächtigen Manfreds: Zwei Männer mischen Hamburg auf

Kaum jemand hat in Hamburg so viel Einfluss wie BUND-Chef Manfred Braasch und Manfred Brandt von der Initiative „Mehr Demokratie“. Ein Doppelporträt.

Es gibt diese Menschen, die niemals aufhören zu kämpfen, egal ob für oder gegen etwas, die unbedingt die Welt verbessern müssen. Bei manchen weiß man nicht so recht, was sie treibt. Bei anderen schon. Bei Manfred Brandt ist es wegen Hitler. Sagt er jedenfalls. Bei Manfred Braasch eher wegen des Schierlingswasserfenchels.

Manfred Braasch (BUND)
Manfred Brandt (Mehr Demokratie, 69, links)
und Manfred Braasch (BUND, 50)

Die beiden Manfreds, der eine Jahrgang 1945, der andere 1964, gehören zu den einflussreichsten Männern Hamburgs, auch wenn sie nie in ein Parlament oder ein Amt gewählt wurden. Der 69jährige Moorburger Agrarwissenschaftler Brandt hat seit 1997 mit der Initiative „Mehr Demokratie“ maßgeblichen Anteil an der Stärkung der direkten Demokratie mittels Bürger- und Volksentscheiden – und an der nicht überall begrüßten Reform des Hamburger Wahlrechts. Jetzt schickt er sich an, mit einer neuen Volksinitiative die Bezirke zu echten Kommunen zu machen – und damit faktisch den Stadtstaat Hamburg zu zerschlagen, wie seine Gegner fürchten. Kürzlich fragte CDU-Bürgermeisterkandidat Dietrich Wersich deswegen: „Was ist eigentlich schlimmer für Hamburg: der Große Brand von 1842 oder Manfred Brandt mit seiner Initiative?“

Der fast 20 Jahre jüngere Manfred Braasch, Hamburger Geschäftsführer des Bundes Umwelt und Naturschutz (BUND), ist vielen in Politik und Wirtschaft vermutlich sogar noch lästiger. Er hat den SPD-Senat im vergangenen Jahr mit der Initiative „Unser Hamburg – unser Netz“ per Volksentscheid zum Rückkauf der milliardenteuren Energienetze gezwungen. Gegen den Willen von SPD, CDU, FDP, weiten Teilen der Wirtschaft, Vattenfall und E.on. Zusammen mit anderen hat der BUND die Elbvertiefung mit Hilfe einer Verbandsklage über Jahre verzögert. Am 2. Oktober 2014 entscheidet das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig nun abschließend, ob die Fahrrinne erneut angepasst werden darf. Urteilt sie zugunsten der Natur und ihrer bedrohten Pflanzen wie dem Schierlingswasserfenchel und gegen eine erneute Flussvertiefung, hätte das gravierende Auswirkungen für die Hafenwirtschaft. Denn viele der immer größer werdenden Containerschiffe könnten die Stadt dann künftig wohl nicht mehr erreichen. Genau eine Woche später, am 9. Oktober, verhandelt auch das Verwaltungsgericht in Hamburg über eine Klage von Braaschs BUND. Weil die Stadt seit Jahren die EU-Grenzwerte bei den giftigen Stickstoffdioxiden verletzt, könnten die Richter den Senat zu drastischeren Maßnahmen zwingen – etwa zur Einrichtung einer Umweltzone, einer City-Maut oder zu neuen Tempolimits.

Für viele ist der mit seiner Frau und seinen beiden Töchtern in Lüneburg lebende Ernährungswissenschaftler längst der heimliche Oppositionsführer – eine Art Springteufel der Hamburger Politik. Egal, worum es geht, irgendwann kommt ganz sicher Manfred Braasch mit einer Klage oder einer Volksinitiative um die Ecke. Dass Bürgermeister Olaf Scholz nicht jedes Mal die Hände vors Gesicht schlägt, wenn der Name Braasch fällt, liegt vermutlich nur daran, dass diese Geste nicht zu seinen Reaktionsmustern zählt.

Der gelernte Drucker
Manfred Braasch mit
Druckschiff im Museum der Arbeit

Dabei sind sich Scholz und Braasch gar nicht unähnlich. Keiner von beiden ist ein Volkstribun, der volle Säle zum Tosen bringt. Beide beziehen ihre Überzeugungskraft aus dem nüchternen Argument, aus Faktensicherheit und dem emotionslosen Appell an die Vernunft. Braasch ist keiner, der mit vollem Herzen Barrikaden anzündet, der jederzeit losrennen könnte, um irgendeine Bastille zu erstürmen. Er schäumt nicht über, er lodert nicht, er wedelt auch nicht wild mit den Armen, wenn er spricht. Stattdessen blickt er ernst und bisweilen ein wenig schalkhaft durch seine nicht ganz dünnen Brillengläser, argumentiert und argumentiert, zählt, während man bei seinem Lieblingsitaliener an der Langen Reihe Nudeln isst, Urteile auf, zitiert Gutachten und beißt zwischendurch in aller Gemütsruhe in seine Spinat-Cannelloni. Langsam kauen, schlucken, dann das nächste Argument. Alles ganz klar. Wie das Wasser in seinem Glas. Dieser Mann ist einfach sicher, dass er Recht hat. Warum also sollte er die Stimme heben? Warum mit den Armen rudern oder die Fäuste recken?

Auch der ältere der mächtigen Manfreds, Manfred Brandt, ist eher der Gegenentwurf zu einem Cliché-Radikalinski. Der frühere FDP-Kommunalpolitiker ist klein und ein bisschen rundlich, sein Händedruck ist rau und kräftig, er spricht langsam und leise, kneift verschmitzt die Augen zusammen und rollt das R. Wenn er in Moorburg auf seinem alten Hanomag-Trecker sitzt oder in einem seiner Bäume Kirschen pflückt, sieht er aus, wie einer, der den Obsthof der Familie niemals verlassen hat. Einer, der der Scholle treu und immer auf dem Boden geblieben ist. Und ganz falsch ist das ja auch nicht. Aber das ist eben nur die halbe Wahrheit. Die andere Hälfte dieses Mannes ist kein Obstbauer, sondern ein politischer Missionar. Und das hat mit Hitler zu tun.

Nicht nur weil es Hitler und seine Nationalsozialisten waren, die 1937 mit dem Groß-Hamburg-Gesetz die kleinen Gemeinden der großen Hansestadt zuschlugen, ihnen die Eigenständigkeit nahmen und eine zentralistische Einheitsgemeinde schmiedeten – die Brandt nun gerne wieder zugunsten stärkerer Bezirke schwächen will. Auf die Frage, was ihn zu diesem endlosen Kampf für mehr Basisdemokratie treibt, sagt er: „Ich frage mich bis heute, wie Hitler möglich war.“ Nicht im Volk hätten die Nazis eine sichere Mehrheit gehabt, glaubt Brandt. „Aber im Parlament waren die überzeugten Demokraten in der Minderheit.“

"Mehr Demokratie"-Vorstand Manfred Brandt
Obtsbauer und Revolutionär:
Manfred Brandt im
Moorburger Kirschbaum

Nach dem Krieg ist Brandt, der mit zwei älteren Brüdern und einer Zwillingsschwester aufwuchs, mit seinem Vater regelmäßig zum Großmarkt gefahren. Das mit den sechs Millionen Juden, das stimme doch gar nicht, erzählten sie da. Oder: „Demokratie, das ist nichts für uns Deutsche.“ Heute redeten manche in früheren Ostblockstaaten so über Demokratie, sagt Brandt und lacht für den Fotografen von seinem alten, kleinen Traktor – nicht ohne schnell den alten Klassiker loszuwerden: „Zwei Kilo Schrott, ein Kilo Lack, fertig ist der Hanomag.“

Im Grunde sei auch Willy Brandt noch zu misstrauisch gewesen, findet er. Mehr Demokratie wagen, schön und gut. „Aber wieso sollte Demokratie denn ein Wagnis sein?“ Wenn etwas gegen mörderische Figuren wie Hitler helfe, dann sei es gerade die Demokratie, so sieht Manfred Brandt das, ein System, in dem die Menschen wirklich mitreden und mitbestimmen können.

Aber Hitler ist nicht der einzige Grund. Brandts Beharrlichkeit lässt sich nicht ohne die→ weiterlesen