Kurzatmige Politik: Hamburg tut zu wenig gegen Gifte in der Luft

Seit Jahren überschreitet die Belastung der Luft in Hamburg die von der EU festgelegten Grenzwerte beim giftigen Stickstoffdioxid. Nun müssen Richter über schärfere Maßnahmen entscheiden. Ein Kommentar.

Bekanntlich ist alles im Leben relativ. So ist auch die Luft in Europa, Deutschland und Hamburg relativ gut – jedenfalls im Vergleich mit Städten wie Peking, wo man im Grunde rund um die Uhr eine Sauerstoffmaske tragen sollte, weil jedes Einatmen einem Zug an einer ganzen Schachtel Kippen gleichkommt. Nimmt man allerdings Abstand von solchen Vergleichen mit den Klassenschlechtesten in Sachen Gesundheitsschutz, dann zeigt sich schnell ein ganz anderes Bild.

Gefährlich für die Gesundheit ist vor allem die Belastung der Luft mit Feinstaub, Ozon und Stickstoffdioxid. Die Atemgifte, deren Hauptquellen der Kraftfahrzeugverkehr und Schiffsabgase sind, können zu chronischem Husten, Bronchitis, Asthma, Entzündungen oder Lungenkrebs führen. Vorbelastete Menschen, Kinder und Jugendliche sind besonders gefährdet. Nach einer neueren Studie des Helmholtz-Zentrums kann Luftverschmutzung auch zu ganz anderen Erkrankungen führen, etwa zum Auftreten von Insulin-Resistenzen, einer Vorstufe der Diabetes.

Erstaunliche Dickfelligkeit der (Stadt-)Regierungen

Angesichts solcher Erkenntnisse ist es erstaunlich, mit welcher Dickfelligkeit europäische (Stadt-)Regierungen seit Jahren über die permanente Verletzung von Grenzwerten hinwegsehen. Bereits 1999 setzte die EU fest, dass die Belastung mit Stickstoffdioxid im Jahresdurchschnitt 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft nicht überschreiten soll. Seit 2010 sind die Grenzwerte rechtsverbindlich. Damit hatten Staaten und Städte bis heute 15 Jahre Zeit, sich auf die neuen Regelungen einzustellen. Aber offenbar haben sie das Problem der Luftbelastung schlicht ignoriert – und gehofft, es werde sich durch technische Neuerungen quasi automatisch erledigen. Das war ein Irrglaube. Auch vier Jahre nach Infrafttreten der Regelung werden die Grenzwerte in Dutzenden von deutschen und europäischen Städten überschritten.

Weil es viele betrifft, zeigt einer auf den anderen – dabei sind Feinstäube und Stickoxide ja nicht weniger giftig, weil so viele europäische Städte das Thema ignorieren. Das Umweltbundesamt prophezeit mittlerweile, dass das Problem bis 2030 nicht gelöst sein wird, wenn die Politik weiter so behäbig damit umgeht. Auch in Hamburg wird zu wenig für die Luftreinhaltung getan. Immer mehr Kreuzfahrtschiffe und der wachsende Straßenverkehr haben die Belastung konstant hoch gehalten. Erst spät hat der SPD-Senat einen Luftreinhalteplan vorgelegt. Dessen Maßnahmen gehen zwar in die richtige Richtung, fallen aber in der Summe so halbherzig aus, dass der Senat selber zugibt, dass man damit die Grenzwerte nicht wird einhalten können.

Bloß nicht mit Autofahrern und Kreuzfahrern anlegen!

Offenbar will man das auch gar nicht – denn dafür müsste man womöglich mit Autofahrern oder Kreuzfahrtunternehmen in den Clinch gehen. Oder sich beim Bau einer Stadtbahn (die null Abgase im Verkehr hinterlässt) mit Anwohnern herumärgern. Nein, dann nimmt man im Rathaus doch lieber Gesundheitsgefahren für die Bürger und Bußgelder der EU in Kauf.

Vielleicht hofft man in der SPD auch auf die Verwaltungsrichter, die im Oktober über eine Klage von BUND und eines Bürgers zu Gericht sitzen, die drastischere Maßnahmen fordern. Wenn die Richter ähnlich entscheiden wie ihre Münchner Kollegen, könnte der Senat bald zu radikalen Schritten gezwungen sein: Von Umweltzone über Tempolimits oder City-Maut wäre dann vieles denkbar. Im Rathaus könnte man sich gleichwohl unschuldig geben und sagen: Wir wollten das ja nicht – wir wurden gezwungen.

Das mag politisch pfiffig sein. Mutige Politik im Sinne von Umwelt und Gesundheit ist das nicht.

Erschienen am 11. August 2014 in WELT und HAMBURGER ABENDBLATT. Der am selben Tag in WELT und HAMBURGER ABENDBLATT erschienene Nachrichtenartikel zum Thema findet sich hier

Hamburg in der (Welt-)Literatur – eine (nicht ganz) zufällige Zusammenstellung

Vor ein paar Wochen hatte ich um Hilfe für einen Artikel zum Thema Hamburg in der (Welt-)Literatur gebeten. Auch dank vieler Rückmeldungen auf Facebook und im Blog entstand schnell eine ziemlich lange Liste. Ich habe daraus subjektiv dies und das ausgewählt und es mal in einem Text zusammengefasst, der jetzt (etwas kürzer als in der Blog-Version auch) in der „Welt am Sonntag“ erschienen ist. Ein Kriterium bei der Auswahl war für mich, dass Hamburg nicht der alleinige Handlungsort und der Autor  kein Hamburger sein sollte. Es ging mir mehr um eine Außensicht auf die Stadt. Herzlichen Dank an alle Mithelfenden!

Natürlich ist es für die Hamburger eine kaum zu übertreffende Freude, wenn ihre Stadt in der Weltliteratur erwähnt wird und dabei auch noch gut weg kommt (während den Berlinern so etwas völlig wumpe ist). Das mag daran liegen, dass die Hamburger selbstverliebter und verliebter in ihre Stadt sind, als es mit dem angeblich so dezenten Hanseatentum vereinbar ist, das sie stets vor sich hertragen. Man weiß nicht genau, ob sie sich ihre Dezenz nur einbilden, oder ob es sich um eine dezente Eingebildetheit handeln.

So oder so: Zu steigern ist die Lust nur noch, wenn im selben Buch schlecht über Bremen geschrieben wird. Demnach müsste der 2004 erschienene Roman 2666“ von Roberto Bolaño bald Zwangslektüre in allen Hamburger Literaturseminaren werden.

IMG_2713In dem Roman des so jung in Spanien gestorbenen Chilenen, der von der internationalen Kritik als eines der besten Bücher mindestens des vergangenen Jahrzehnts gefeiert wurde, geht es um alles, was das menschliche Dasein ausmacht: um Sex und Gewalt, um Kunst und Verbrechen (etwa die Mordserie an Frauen in Mexiko), um Liebe und Tod – und um Literatur. Dass bei dieser Tragweite eine Weltmittelstadt wie Hamburg schon auf der ersten Seite auftaucht, darf einen Hanseaten mit diskretem Stolz erfüllen.

Ausgerechnet in Hamburg sucht in 2666 eine Horde trauriger Germanisten nach den Spuren des verschollenen Autors Archimboldi, der zu Beginn seiner Karriere von einem Hamburger Verleger unter Vertrag genommen worden war. Einer der Literatur-Detektive „schrieb an den Hamburger Verlag … erhielt aber nie eine Antwort”, heißt es auf der ersten Seite von 2666 – was immerhin kein Klischee ist, denn es steht eher zu vermuten, dass Hamburger in Wahrheit schnell und verbindlich antworten. Alte Kaufmannstugend. Aber vielleicht ist auch das bloß ein Stereotyp.

Später kommen Bolaño und seine Figuren dem Klischee schon näher, denn als sie nichts anderes zu tun haben, machen die Germanisten Pelletier und Espinoza einen Spaziergang durch die Stadt und landen unweigerlich auf dem Kiez, also im „Viertel der Prostituierten und Peep Shows”. Das allerdings hat auf die Männer nicht den gängigen Effekt, denn es macht sie beide so melancholisch, „dass sie einander von verflossenen Lieben und Enttäuschungen zu erzählen begannen”.

Tatsächlich hat der kurze Spaziergang dieser beiden Figuren von literarischem Weltrang eine heilende Wirkung. Denn als die Verlegerwitwe Bubis, die sie in einem „Altbau in einem Hamburger Nobelviertel” besuchen, ihnen bei der Suche nach dem verschollenen Autor nicht hilft, wird den beiden Literaturwissenschaftler auf „Sankt Pauli” schließlich klar, dass die Suche ihr Leben sowieso „niemals würde ausfüllen können”. Und als wichtigste in Hamburg gewonnene Erkenntnis begreifen Pelletier und Espinoza, „dass sie Liebe, nicht Krieg machen wollten“.

Genauso erbaulich wie diese Lehre oder Lebensentscheidung, die der Franzose und der Spanier von hier mitnehmen, ist für einen Hamburger die bösartige Beschreibung Bremens, wo sich die vier Hauptfiguren zu einem Kongress treffen. Sie essen in einem Restaurant „in einer dunklen, von alten hanseatischen Häusern gesäumten Straße, von denen einige aussahen wie ehemalige Verwaltungsgebäude der Nazis”.

Das Lokal, zu dem „einige wenige regennasse Treppenstufen hinunterführten”, konstatiert eine von ihnen, „könnte scheußlicher nicht sein”. Die Stadt ist nass und die Lichter leuchten überall, „als wäre Bremen eine Maschine, durch die von Zeit zu Zeit kurze, heftige Stromstöße zuckten”.

Natürlich hat Hamburg mehr zu bieten als erfundene Schriftsteller wie den verloren gegangenen Archimboldi – nämlich echte und berühmte Autoren. Zugleich hat die Stadt aber immer wieder auch als Bühne für bekannte Romane gedient und ist dabei nicht nur gut weggekommen.

BuddenbrooksIn den Buddenbrooks von Thomas Mann etwa stammt der skrupellose Kaufmann und spätere Pleitier Bendix Grünlich aus Hamburg. Der als ziemlicher Widerling gezeichnete 32-Jährige trägt einen Backenbart, „von ausgesprochen goldgelber Farbe“ und hat blaue Augen, die Tony Buddenbrook an die einer Gans erinnern. Trotzdem heiratet sie ihn von der Familie gedrängt. Tony bringt 80.000 Mark mit in die Ehe und bekommt in Hamburg eine Tochter von dem Gelbbart, der es nur auf ihr Geld abgesehen hat – und dennoch pleite geht, woraufhin Tony nach Lübeck zurückkehrt.

Neben solchen Verschlagenheiten mancher Kaufleute und einer zum Teil „sittenlosen Gesellschaft“ steht Hamburg aus der Sicht der Lübecker Buddenbrooks aber stets auch für das Neue, das Moderne und Noble, für die feinste Kleidung und die „reichen Verwandten“.

Weitaus fantastischer geht es in Jules Vernes 1864 erschienen Roman „Reise zum Mittelpunkt der Erde“ zu, in dem der Hamburger Professor Otto Lidenbrock mit Hilfe eines geheimen Dokumentes den Weg durch einen Vulkan zum Erdmittelpunkt findet. Lidenbrock, der „Oheim“ des Ich-Erzählers, „wohnte auf der Königsstraße in einem eigenen kleinen Hause, das halb aus Holz, halb aus Ziegelstein gebaut war, mit ausgezacktem Giebel“, heißt es in dem Buch. „Es lag an einem der Canäle, welche in Schlangenwindungen durch das älteste Quartier Hamburgs ziehen, das von dem großen Brand im Jahre 1842 glücklich verschont wurde; sein Dach saß ihm so schief, als einem Studenten des Tugendbundes die Mütze auf dem Ohr; das Senkblei durfte man an seine Seiten nicht anlegen; aber im Ganzen hielt es sich fest, Dank einer kräftigen in die Vorderseite eingefügten Ulme, die im Frühling ihre blühenden Zweige durch die Fensterscheiben trieb.“

Dass Jules Vernes Hamburg zum Schauplatz wählte dürfte mit einer Reise zu tun haben, die er 1861 von Paris über Hamburg nach Skandinavien unternahm, und von der Tagebuchaufzeichnungen erhalten sind.

Wo wir gerade im 19. Jahrhundert und beim Großen Brand sind: Natürlich kommt Hamburg auch in Heinrich Heines satirischem Versepos „Deutschland. Ein Wintermärchen“ aus dem Jahr 1844 vor. Zwei Jahr zuvor hatte das Feuer weite Teile der Altstadt zerstört und so dichtet Heine: „Die Stadt, zur Hälfte abgebrannt, wird aufgebaut allmählich; wie ’n Pudel, der halb geschoren ist, sieht Hamburg aus, trübselig. Gar manche Gassen fehlen mir, die ich nur ungern vermisse – wo ist das Haus, wo ich geküsst der Liebe erste Küsse?“

Immerhin kann sich der trauernde Dichter an den Hamburger Delikatessen trösten: „Als Republik war Hamburg nie so groß wie Venedig und Florenz, doch Hamburg hat bessere Austern; man speist die besten im Keller von Lorenz.“

220px-TheTempleIm 20. Jahrhundert wird Hamburg in den Romanen bisweilen zu einem Sinnbild für körperliche Freiheit und Lebenslust, aber auch für die Verruchtheit, die eine Hafenstaat mit notorischer Prostitution und Bordellen bis in weite Ferne ausstrahlt. Für den britischen Schriftsteller Stephen Spender stehen Deutschland und Hamburg im 1930 geschriebenen Roman „Der Tempel“ für eine Welt der Offenheit gegenüber Sexualität→ weiterlesen

Wenn Bürgermeister reisen:
Skandälchen gibt’s immer

Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz fliegt nach Schweden. Irgendein Skandälchen wird es sicher auch in Skandinavien geben. Denn kaum eine Bürgermeisterreise kommt ohne echten oder künstlichen Eklat aus. Ein kleiner Rückblick auf die Aufreger der jüngeren Reisen der Senatschefs – in diesem Text, der am Ende der Südamerikareise von Scholz im April 2013  in der „Welt am Sonntag“ gedruckt wurde. 

Natürlich gab es auch diesmal einen Skandal, oder sagen wir: ein Skandälchen. Es hat ja im Grunde kaum eine Bürgermeisterreise ohne irgendeinen Eklat gegeben.

Was nicht unbedingt etwas über die Integrität oder Professionalität der Hamburger Senatschefs oder ihrer Stäbe aussagt – aber sehr viel über die Gruppendynamik dieser Reisen, auf denen standesbewusste Unternehmensführer, bisweilen sehr spezielle Wissenschaftler, PR-süchtige Politiker und dauererregte Journalisten miteinander ins Geschäft kommen müssen und einander dabei tagelang nicht entfliehen können.

Egal ob in China, Indien, Arabien oder Südamerika: Man sitzt in diesen Delegationen vom Frühstück bis zum nächtlichen Caipi zusammen, in Konferenzsälen, Flugzeugen, Schiffen und Bussen. Immer etwas gestresst, bisweilen zugleich müde und aufgekratzt. Man hetzt gemeinsam durch die voll gepackten Tage und irgendwann ist es so, als reise man mit Freunden.

Das ist natürlich ein Irrtum, denn jeder verfolgt ja seine eigenen Interessen. Der politische Stab will den Bürgermeister im besten Lichte sehen. Die mitgereisten Parlamentarier der Opposition fühlen sich notorisch benachteiligt und müssen, das ist ihr Job, öfter mal herumkritteln. Die Unternehmer wollen Geschäfte machen.

Olaf Scholz vor der Kaffeebörse in Santos
Olaf Scholz vor der Kaffeebörse in Santos

Und die Journalisten suchen inmitten all der langweiligen Termine in Regierungsgebäuden und Konzernzentralen ständig nach Geschichten, die mehr Sex haben als das Händeschütteln und die blechernen Statements älterer Herren (Damen kommen auf solchen Reisen weniger vor). Schließlich stehen Medienleute (wie Politiker) unter Rechtfertigungsdruck: Warum überhaupt macht man solche Reisen? Was das wieder kostet!

So entsteht ein Biotop, in dem nichts besser gedeiht als der→ weiterlesen

Heino, Godwin und der Undercut

In dieser Woche kam ein halbwüchsiger Verwandter zu Besuch, und ich war, als ich ihm öffnete, kurz davor, mit den Hacken zu knallen und eine schon länger verbotene Grußgeste zu machen. Der Junge war gerade beim Friseur gewesen, und was er jetzt auf dem Schädel trug, erinnerte mich an Sportpalast, Fackelmärsche und völkisches Gedröhne. Rundrum ausrasiert und oben etwas länger.

„Warum hast du dir denn einen Nazischnitt zugelegt?“, fragte ich. Woraufhin er antwortete, das sei ein völlig unpolitischer, aber „total angesagter“ Undercut. Marco Reus trage das auch so, und außerdem: „Seit wann hast DU Ahnung von Haaren? Du hast doch seit 30 Jahren keine Bürste mehr benutzt.“

Nazivergleiche gehen eben immer schlecht aus für den, der sie zieht. Nach Godwin’s Law mündet übrigens jede Debatte über kurz oder lang in einen Nazivergleich, jedenfalls im Internet. Gemäß einer Weiterentwicklung dieses Gesetzes ist es ratsam, die Diskussion in diesem Fall sofort mit einem schneidigen „Godwin!“ zu beenden. Denn Debatten, in denen Hitler bemüht werde, seien ohnedies intellektuell am Ende.

Was nicht bedeutet, dass der Hamburger HipHopper Jan Delay ein Intellektueller war, bevor er jetzt den Volkssänger Heino als Nazi bezeichnete. Denn genau genommen war das ja gar kein Vergleich.

Erschienen am 27. April 2014 in der Rubrik „Nordlicht“ der „Welt am Sonntag“ und am 29. April 2014 als „Zwischenruf“ im „Hamburger Abendblatt“. 

 

Von unten, ohne Sahne

Telemichel

Wirklich schade, dass es seit Jahren schon kein Café mehr oben auf dem Hamburger Fernsehturm gibt.

Ich erinnere mich noch, wie ich in den späten 1980ern da oben Erdbeerkuchen mit Sahne gegessen habe.

Gibt es eigentlich irgendeine andere Stadt, in der es aus Brandschutzgründen nicht möglich ist, einen Blick vom Fernsehturm zu werfen?

Einziger Trost: Von unten sieht der Telemichel auch ganz schick aus. Außerdem soll Sahne ja angeblich fett machen.